Mein Freiwilligendienst hat am 25. August 2023 begonnen und endet voraussichtlich am 11. August 2024. Von diesen elfeinhalb Monaten sind nun schon über sechs vergangen, fünf Monate fehlen noch.

In diesem Blogbeitrag möchte ich Bilanz ziehen über die erste Hälfte meines Freiwilligendienstes. Was habe ich gemacht und was nicht? Was habe ich gelernt und erlebt? Was hat sich verändert?
Im letzten halben Jahr bin ich ungefähr 398 Stunden Bus gefahren, das sind 16,6 Tage, davon habe ich sechs Nächte im Bus verbracht und mehr oder weniger gut geschlafen. Die Busse haben mich täglich von und zur Arbeit gebracht, ins Reservat und zu kleinen und größeren Reisezielen. Ich fühle mich auf jeden Fall deutlich Bus-erfahrener und quasi jeglichen Langstreckenreisen gewappnet. Im Sommer auf der Nordhalbkugel habe ich vor mit diesen neugewonnenen Fähigkeiten das Nachtzugnetz in Europa unsicher zu machen.

Bis jetzt habe ich insgesamt knapp zwei von sechs Monaten im Reservat Cañada el Carmen verbracht. Mein Projekt ist auch noch in zwei anderen Reservaten aktiv, im Pantanal Paraguayo und im atlantischen Regenwald. Leider konnte ich diese bis jetzt noch nicht besuchen, was einerseits an Wetter- und Zugangsschwierigkeiten lag, aber nicht zuletzt auch an der semi-verlässlichen Planung meines Projektes. Ich hoffe weiterhin, dass ich noch in die anderen Reservate reisen werde, aber bis dahin bin ich ganz glücklich im trockenen Chaco. Flexibilität und ‘immer das Beste aus der Situation machen’ hat sich hier in Paraguay jedenfalls sehr bewährt.


Andererseits kann ich mittlerweile besser kommunizieren und habe gelernt selber meine Pläne einzufädeln, wodurch gar nicht mehr so viel Flexibilität erforderlich ist.
Auf der App Merlin habe ich 62 Vogelarten eingetragen, die ich hier gehört oder gesehen habe. Ich muss aber anmerken, dass ich im Vergleich zu meiner Mitfreiwilligen nicht so zuverlässig meine Artenliste geführt habe.
Merlin ist eine App, die für meine Arbeit sowohl im Reservat, als auch im Büro absolut essenziell geworden ist. Ich habe in der App ein Paket mit allen Vögeln Paraguays heruntergeladen und nutze dieses, um Vögel anhand ihres Aussehens oder ihres Gesangs zu identifizieren und zu speichern. Zusätzlich kann man Informationen über die Vögel nachlesen, auf einer Karte ihre Verbreitung nachvollziehen und sich ihren Gesang vorspielen lassen. Im Reservat nutzen wir die letzte Funktion manchmal, um zu schauen, ob uns der Vogel antwortet und wir uns damit sicher sein können ihn richtig identifiziert zu haben.
Die Vogelidentifizierung ist schon ein kleines Hobby von mir geworden, deswegen habe ich mir in Brasilien auch direkt das jeweilige Vogelpaket für Rio heruntergeladen. Egal ob man auf den Bus wartet, im Reservat nichts los ist oder man auf dem Zuckerhut steht, mit Vögeln kann man sich so gut immer beschäftigen, weil sie fast immer da sind, man muss nur genau genug hinhören. Übrigens hat Merlin natürlich auch ein Paket für Deutschland, beziehungsweise Westeuropa.

Über meinen Bücherkonsum habe ich bereits geschrieben, aber jetzt nochmal ganz genau: Seitdem ich in Paraguay bin, habe ich 23 Bücher gelesen und ein Hörbuch gehört. Die Hälfte der Bücher habe ich auf Deutsch gelesen, ein Buch auf Spanisch und den Rest auf Englisch.
In Asunción, wo ich leider keine Zeit zum Lesen finde, habe ich ein anderes Medium gefunden, um meine Wissbegierde zu stillen – Podcasts. Da ich auch bei der Fahrt zum und während der Arbeit im Büro Podcasts höre, komme ich schon gerne mal auf 40 Stunden Podcasthören pro Woche. Genauere statistische Daten dazu erfahre ich wahrscheinlich erst Ende des Jahre im nächsten Spotify Wrapped. Meistens gebe ich mir eine gesunde Mischung aus Verbrechen-, Politik- und Laberpodcasts, viele davon sind ZEIT Podcasts.

An 100 von den vergangenen 199 Tagen habe ich mithilfe von Duolingo Guarani geübt. Leider habe ich erst im November damit angefangen, seitdem bin ich aber sehr fleißig dabei. Mein Streak wurde nur einmal unterbrochen, als wir im Januar in Cañada kein Internet hatten. Trotzdem beschränken sich meine Guarani-Fähigkeiten auf einzelne Wörter, denn in meinem Alltag musste ich es tatsächlich fast noch nie nutzen.
Spanisch habe ich, seitdem ich in Paraguay bin, nicht mehr bewusst geübt, sondern durch Zuhören und Sprechen gelernt. Manchmal hat sich das echt hoffnungslos angefühlt, weil ich immer noch nicht alles verstanden habe oder wieder bei der gleichen Konjugation nachdenken musste. Wenn ich jedoch komplett zurückblicke, fällt mir auf, dass sich mein Spanisch deutlich verbessert hat.

Gerade auf der Orientación del Medio Año, die diesmal auf Spanisch stattfand, wurde mir klar wie viel mehr ich schon auf Spanisch sagen kann, als ich dachte.
Für die Tagung sind wir weltwärts-Freiwilligen gemeinsam mit unserer Koordinatorin und drei weiteren YfU-Freiwilligen nach Bella Vista in Itápua gefahren und haben dort fünf Tage verbracht. Wie bei unserer Orientation am Anfang gab es wieder viel gutes Essen, wobei wir dieses Mal schon an die vierte Mahlzeit am Tag gewöhnt waren und nicht unter Jetlag zu leiden hatten.
Die Tagung war darauf angelegt, unsere Rolle als Freiwillige näher zu betrachten, Erfahrungen der letzten Monate zu teilen und unser Wissen über Paraguay zu erweitern und zu vertiefen. YfU Paraguay hatte dazu unter anderem Sessions zu den Themen Neoliberalismo, Machismo, Objetivos del Desarrollo Sostenible und Pueblos Originarios del Paraguay vorbereitet. Zusätzlich mussten wir diesmal auch selber etwas leisten und Präsentationen über unser Projekt und unsere Arbeit in den letzten sechs Monaten halten.

Neben dem theoretischen Input, machten wir noch zwei Exkursionen. Zuerst besuchten wir zwei Standorte der Jesuitenreduktionen in Itápua: La Santísima Trinidad de Paraná und Jesús de Tavarangüe, welche als UNESCO Welterbes anerkannt sind. Unter anderem im heutigen Paraguay entstanden im 17. und 18. Jahrhundert von den Jesuiten errichtete Modellstädte, in denen Indigene unter der Leitung von Jesuiten leben, lernen und arbeiten konnten. 1767 ordnete die Spanien ein Verbot des jesuitischen Ordens an und die Vertreibung der Jesuiten aus den Kolonien folgte. Heutzutage kann man die Ruinen der Reduktionen besichtigen, die aufgrund ihrer geschichtlichen Signifikanz und durch ihre architektonische Schönheit begeistern. Wir wurden durch beide Reduktionen jeweils von einem indigenen Guide geführt. Neben Informationen über die Ruinen, erzählten sie uns auch ein wenig über ihre Identität, Sprache und Traditionen. Zum Beispiel stellte sich der Guide in La Santísima Trinidad de Paraná mit zwei Namen vor, zuerst mit seinem spanischen Namen, der von seinen Eltern ausgewählt wurde und danach mit seinem spirituellen Namen, der von der Gemeinde für ihn ausgewählt wurde (und irgendwie sehr gut zu ihm passte). Er erzählte uns auch, dass er zwei verschiedene Ausweisdokumente besitzt in denen jeweils einer seiner zwei Namen steht.


In Bella Vista gingen wir zu Selecta, einer dort ansässigen Yerba Mate Firma. Der ursprüngliche Plan, die Plantage zu besichtigen, wurde aufgrund von schlechtem Wetter abgesagt. Stattdessen besuchten wir ein kleines Museum über die Geschichte der deutschen Familie, die dort seit ein paar Generationen Mate anbaut und verkauft, sowie über die Erfolgsgeschichte der Yerba Mate Pflanze (Ilex paraguariensis), die, wie man dem lateinischen Namen schon entnehmen kann, ursprünglich aus Paraguay kommt. Im Anschluss tranken wir dort natürlich Mate und Tereré.


Am mittleren Abend der Tagung, haben wir eine spontane Talentshow veranstaltet, die alle Emotionen hervorgerufen hat, von Dichtkunst über sächsisch-spanische Zungenbrecher bis zu herzerwärmendem Gesang konnte unsere Gruppe alles und noch viel mehr bieten. Über die Tagung hinweg sollten wir außerdem uns allen gegenseitig kleine Briefe schreiben, die dann auf dem Rückweg übergeben wurden. Mit den Reisen in den letzten Monaten und der Tagung jetzt sind wir neun Freiwilligen schon WIRKLICH richtig fest zusammengewachsen.

Bleibt nur noch meine ‘Ode an ein Ding’ zu verkünden.
Diesmal ist es genau genommen nicht nur ein Gegenstand, sondern ziemlich viele, die sich aber in einem Wort zusammenfassen lassen – meine Reiseapotheke. Diese wurde kurz vor meiner Abreise liebevoll von Hanna zusammengestellt, die mir damit sehr viel Zeit erspart hat, die ich auch nicht gehabt hätte. Die beschrifteten Gefrierbeutel in einer wasserfesten Tasche versichern mir seit sechseinhalb Monaten, dass ich gegen fast alles gewappnet bin. Ich selber musste abgesehen vom absolut essenziellen Fenistil bei Mückenstichen zum Glück noch wenig Gebrauch von ihr machen. Dafür konnte ich bei Fällen von Krämpfen, Verbrennungen oder noch nicht diagnostiziertem Dengue-Fieber in unserer Gruppe mithilfe meiner Reiseapotheke kurzfristig aushelfen.
Die Reiseapotheke repräsentiert für mich das Gefühl auf alles vorbereitet zu sein und für alles einen Ort zu haben, seine sieben (hundert) Sachen zusammenzupacken, den Reiseruckesack gerade so schließen zu können, loszufahren und zu wissen, dass man alles nötige dabei hat, aus 18 Jahren Leben auszuwählen, welche Gegenstände für einen Freiwilligendienst in Paraguay relevant sein könnten und am Ende mit zwei Gepäckstücken, ein mal Handgepäck und einer Bauchtasche dazustehen und damit alle Besitztümer der nächsten elfeinhalb Monate in der Hand zu haben.

Eine lobende Erwähnung geht auch an meinen Hüttenschlafsack, der konkrete Kontext dazu wird womöglich beim nächsten Mal Wahrheit oder Lüge geliefert.
Am Tag an dem dieser Blogbeitrag hochgeladen wird, bin ich seit sechseinhalb Monaten in Paraguay. Morgen in fünf Monaten ist mein Rückflug, knapp 57% meines Freiwilligendienstes sind vergangen.
Im Moment bin ich wieder im Reservat Cañada el Carmen doch diesmal vielleicht zum letzten Mal. Wenn ich noch in die anderen Reservate fahren kann und dann noch ein bisschen reise, bleibt nämlich garnicht mehr so viel Zeit übrig. Außerdem wird es ab jetzt theoretisch wieder kälter auf der Südhalbkugel, worauf ich mich kurioserweiser gar nicht so freue, wie ich es am Anfang erwartet hätte. Seit meinem einmonatigen Hochsommer-Aufenthalt im Chaco habe ich mich echt an die Hitze gewöhnt. Ich merke, dass ich richtig angekommen bin und dass auch die zweite Hälfte meines Freiwilligendienstes schon in vollem Gang ist.
