Von Palmsonntag bis zum Ostermontag geht die Karwoche, die auf spanisch heilige Woche genannt wird. Mit einer knapp 90-prozentig katholischen Bevölkerung in Paraguay gehört das Osterfest, beziehungsweise die ganze Semana Santa natürlich zu den wichtigsten Feiertagen des Jahres und bietet die Möglichkeit viele typische Bräuche mitzuerleben. Ich muss allerdings zugeben, dass ich wie schon an Weihnachten und Neujahr kein traditionelles Osterfest gefeiert habe. Trotzdem hatte ich eine sehr spannende Woche und kann ein bisschen über meine Beobachtungen zu Ostern in Paraguay und mehr erzählen.

Zwischen Orientación del Medio Año und Semana Santa war ich nochmal kurz für zweieinhalb Wochen in Cañada und habe dort den Herbstanfang erlebt. Für die Natur und das Wetter bedeutet das im trockenen Chaco, dass es weiterhin schön grün ist, allerdings nicht mehr so feucht und mich somit überraschend wenige Mosquitos geplagt haben. Der Herbst ändert wiederum noch wenig an den Temperaturen, stattdessen habe ich eine zweiwöchige Hitzewelle im trockenen Chaco ohne Klimaanlage überlebt. Nach ein paar Tagen bin ich dazu übergegangen draußen in der Hängematte zu schlafen, was sich als erstaunlich erholsam erwies. Zum Einschlafen habe ich mir Podcasts angehört, da die Geräusche aus dem Wald mich manchmal gruseln. Morgens wurde ich pünktlich zur Arbeit von der Sonne geweckt.

Tatsächlich durfte ich diesem Mal nicht den kompletten Tag lesen, sondern habe morgens und abends jeweils ein paar Stunden gearbeitet. Dabei konnte ich ein abgesehen von den Standardaufgaben ein paar neue Arbeitsbereiche kennenlernen. Neben mir war ein anderer Freiwilliger aus Spanien da, der weniger bei der tagtäglichen Arbeit im Reservat mithilft, aber dafür neue wissenschaftlichere Projekte einführt und umsetzt.

Zum Beispiel haben wir angefangen mit Grubenfallen zu arbeiten, um kleine Amphibien, Reptilien, Spinnentiere und Säugetiere zu fangen. In jedem der Pfade des Reservats sind jeweils fünf Eimer in den Boden gegraben, in welchen ein Stück Holz platziert wurde, auf dem sich gegebenenfalls Säugetiere aufhalten können. Wir mussten mindestens ein Mal täglich alle Fallen kontrollieren, die Tiere wieder freilassen und ein bisschen Wasser nachfüllen. Meistens fanden wir Frösche und Kröten, aber gelegentlich auch Miniaturskorpione, kleine Echsen, große Tarantulas und andere Funde über die ich noch nicht erzählen darf. Außerdem mussten wir dadurch täglich fast das ganze Reservat besichtigen und sind noch mehr als zuvor in den konstanten Kontakt mit der Natur kommen.

Vor allem habe ich viele Schlangen gesehen, aber auch ein für mich neues Tier: ‘Tañy katĩ’ ist eine der zwei Wildschweinspezies, die es in Cañada gibt. Die andere Art ‘Tagua’ ist zugegebenermaßen ein wenig aufregender, da sie im trockenen Chaco endemisch und so bedroht ist, dass man zuerst ihre Fossilien fand und glaubte sie sei ausgestorben. Vermutlich krönt das Chaco-Pekari deswegen auch das Logo von Cañada el Carmen. Das letzte Mal wurden Taguas im November an der Wasserstelle vor dem Haus gesehen, kurz nach meiner ersten Abfahrt nach Asunción.

Zusätzlich haben wir angefangen mit einer indigenen Gemeinde in der Nähe des Reservates zu kooperieren. Einmal durfte ich mitfahren, dafür ging es die Hälfte der ungefähr 30 Kilometer langen Strecke auf der asphaltierten Hauptstraße und die andere Hälfte auf einem zerfahrenen und steinigen ‘camino de tierra’, der mich mit einigen blauen Flecken hinterließ. Wir waren an diesem Tag dort, um zu helfen einige Computer aufzubauen, damit die Gemeinde an Konferenzen mit anderen Indigenen teilnehmen kann. So wie wir im Reservat hat auch diese Gemeinde seit neuestem einen Starlink-Internetzugang, der bis auf den gelegentlichen Stromausfall konstant gutes WLAN bietet. Ein paar Mal kamen Mitglieder der Gemeinde auch zu uns ins Reservat, um sich zum Beispiel eine Leiter oder Matratzen auszuleihen.

Meine Zeit in Cañada endete dann ganz plötzlich, da eine Volkszählung in Bolivien und andere Komplikationen meinen ursprünglichen Plan durcheinanderbrachten. An meinem letzten Tag regnete es endlich und der Temperatursturz trat ein. Ich verbrachte den Abend bei eisigen 25 Grad in Pulli und Jacke gemummelt vorm Lagerfeuer und habe seit langen wieder Mbejú gegessen. Diese letzte Nacht musste ich aufgrund der Kälte wieder drinnen verbringen.

Zurück in Asunción begann direkt meine turbulente Osterwoche. An meinem ersten Tag zurück ging es für mich schon früh morgens zum Flughafen. Um kurz nach Sieben durfte ich ein altbekanntes Gesicht begrüßen, mein bester Freund Joni ist mich aus Deutschland besuchen gekommen. Er war davor mit seinen Eltern für zwei Wochen in Peru und hat noch einen kurzen Abstecher nach Paraguay gemacht. Mein Ziel für diese Woche war es also ihm so viel wie möglich von meinem Paraguay mitzugeben und zu zeigen.

Aber auch ich habe durch seinen Besuch dazu gelernt und durfte Asunción aus anderen Augen betrachten. Zuerst hat es sich völlig absurd angefühlt, Joni, den ich fast nur im Berlin-Schul-Kontext kenne, auf einmal mitten in Südamerika zu sehen. Ich habe so etwas schonmal erlebt, als ein Freund aus England mich besucht hat und wir gemeinsam das Treppenhaus in einem Prenzlauer Berger Altbau hochgelaufen sind. Mein Gehirn hatte so etwas wie einen Kurzschluss und wollte nicht verstehen, wie Tom, den ich sonst mit grauen Wolken, Backstein und grünen Parks im Hintergrund kannte, mitten in meinem Berliner Leben stehen konnte. Mindestens genauso verwirrt war mein Kopf also beim Anblick von Joni am Flughafen Silvio Pettirossi Asunción.

Um für Joni das volle Programm Paraguay und paraguayisches Essen herauszuholen, gab es direkt an seinem ersten Abend ein großes Asado. Zugegebenerweise war der wahre Anlass der Geburtstag meiner Gastoma, aber es hat sich sehr gut angeboten, um meine Gastfamilie und eine der wichtigsten paraguayischen Speisen und Traditionen kennen zu lernen. Für den nächsten Tag hatte ich um 8:00 morgens ein weiteres kulturelles Event geplant, zu dem es der übermüdete und unter Zeitverschiebung leidende Joni bedauerlicherweise nicht schaffte.

Stattdessen habe ich mit zwei anderen Freunden am Palmsonntag an dem Chipa-Workshop teilgenommen. Dass es der besagte Domingo de Ramos war, habe ich schon auf dem Weg daran gemerkt, dass ich mehrere Umzüge mit Palmenblätter sehen konnte. Beim Chipa-Workshop wurden uns Rezepte zu drei verschiedenen Arten von Chipa gezeigt und wir durften daraufhin den Chipateig formen. Traditionell ist beispielsweise Chipa geformt wie ein dünner Bagel, aber es geht auch aufwendiger, so hat eine der Teilnehmerinnen Tauben aus de Chipamasse geformt. Meine Freunde und ich haben versucht mit unserer Chipa den kulturellen Austausch zwischen Paraguay und Deutschland zu besiegeln.

Chipa wird in Paraguay das ganze Jahr über gegessen und eignet sich sehr gut für unterwegs, da es klein, günstig und sättigend ist. In der Semana Santa nimmt Chipa noch eine gesteigertere Rolle ein und gehört zu den Osterbräuchen Paraguays. Anstatt Ostereier zu bemalen, wird traditionell am Miercoles Santo Chipa gebacken, um sie dann am Karfreitag, an dem nicht gekocht werden soll, zu essen. Ganz so streng ist die Umsetzung heutzutage meist nicht mehr, nichtsdestotrotz ist Chipa ein essenzieller Teil des paraguayischen Osterfests.

Den Rest der Woche war ich vorwiegend damit beschäftigt Joni meine Lieblingsorte in Asunción zu zeigen. Wir besuchten den Cerro Lambaré in der Nähe meiner Gastfamilie, die Costanera und das Stadzentrum, den botanischen Garten, den Lago Ypacarí bei Aregua, den Mercado Cuatro und mussten natürlich gleichzeitig das kulinarische Angebot im Schnelldurchlauf testen: Açai, Asado, Lomito Arabé, Empanadas, Chipa, Cocido, Tereré, sowie neunzig Prozent der erhältlichen Biersorten.

Mir hat es richtig Spaß gemacht Stadtführerin zu spielen und mir dadurch erneut bewusst zu machen, wie viele Erfahrungen und Erinnerungen ich in den letzten sieben Monaten zu all diesen Orten gesammelt habe und dass Asunción keine fremde Stadt mehr für mich ist. Auf der anderen Seite habe ich auch gemerkt, wie viel es in und insbesondere um Asunción noch zu entdecken gibt.

Von Ostern haben wir zu dieser Zeit nur mitbekommen, dass wir nichts mitbekommen haben. Spätestens ab der Nationalfeiertage Jueves y Viernes Santo (Gründonnerstag und Karfreitag) war das Stadtzentrum, in dem wir wohnten, vollkommen leergefegt und überraschend angenehm für Fußgänger. Am Karfreitag hatte ich den einzigen festen Programmpunkt eingeplant. Um Joni auch ein wenig vom Inland zu zeigen und weil es mich selbst interessiert hat, sind wir einer Empfehlung meiner Gastmutter gefolgt und nach Tañarandy im Departamento Misiones gefahren. Tañarandy ist kleines Dorf in der Nähe des wiederum kleinen Ortes San Ignacio Guazú. Jedes Jahr am Karfreitag verwandelt sich das unscheinbare Dorf in eine der größten Touristenattraktionen Paraguays. Bei Sonnenuntergang und Abenddämmerung wird eine Statue der ‘Virgen Dolorosa’ bei Fackelschein entlang eines Feldweges getragen. Währendessen wird auf Guarani gesungen und der Weg ist mit Kerzen in ausgehöhlten Bitterorangenschalen dekoriert. Wir mussten uns unsere Sorgen bezüglich Brandsicherheit verkneifen.

Am Ende der Prozession ist eine Art Bühne aufgebaut, in der berühmte christliche Gemälde live nachgestellt werden. Insgesamt muss man sich vorher entscheiden, ob man an der Prozession teilnehmen möchte oder einem ein guter Blick auf die Inszenierung am Ende wichtiger ist. Nachdem wir von der Prozession zurückkehrten, erwartete uns der überwältigende Anblick von Tausenden von Menschen mit kleinen Fackeln und Kerzen, die nur auf die Erleuchtung der ‘lebenden Bilder’ warteten. Dementsprechend weit entfernt standen wir von der Bühne. Für die volle Erfahrung sollte man also zweimal kommen.

Den Samstag verbrachten wir mit packen, aufräumen, entspannen und endeten unsere gemeinsame Woche mit einem Restaurantbesuch auf einem Dach Asuncións. Am Ostersonntag brachte ich Joni noch zum Flughafen und kam danach endlich wieder richtig zuhause an. Ostermontag ist in Paraguay kein Feiertag, sodass ich nur einen Tag zum entspannen hatte.

Dadurch, dass ich in Paraguay Besuch bekommen habe, war ich quasi gezwungen in Asunción Urlaub zu machen und nicht nur zu schauen, was ich jeweils am nächsten Wochenende unternehmen kann. Zum ersten Mal habe ich ganz gezielt recherchiert, welche Attraktionen Paraguay bietet, wie diese zu erreichen wären und wie viel das kosten würde. Da Paraguay wirklich keine ausgeprägte Tourismusindustrie hat, ist es am Anfang gar nicht so einfach zu verstehen, wie man an die schönen Orte des Landes kommt.

Mein erster Schritt sind meistens meine Reiseführer. Ich habe zwei aus Deutschland mitgenommen. Zum einen hat mir Papa zu in meinem letzten deutschen Winter (Weihnachten oder mein Geburtstag) einen englischen Reiseführer über Paraguay geschenkt. Diesen benutze ich einerseits, um Ideen zu sammeln, aber auch oft um zum Beispiel für diesen Blog genau über Orte oder Ereignisse nachzulesen. Zusätzlich habe ich mir in meiner letzten Woche in Berlin einen dicken Lonely-Planet-Reiseführer über ganz Südamerika geholt, der sich bis jetzt sowohl in Paraguay, aber vor allem in Brasilien bewährt hat. Glücklicherweise musste ich die knapp 30€ nicht selber zahlen, sondern konnte den Reiseführer mithilfe des Kulturpasses kaufen.

Weiterhin nutze ich die Reiseführer, um nach zu verfolgen, an welchen Orten ich schon war, in dem ich diese im Buch mit einem Textmarker markiere.

Joni hat von seinem Vater natürlich auch einen Paraguay-Reiseführer geschenkt bekommen, in dem ich die Woche über so leidenschaftlich gerne gelesen habe, dass ich angefangen habe zu überlegen, ob ich nicht selber mal einen Reiseführer schreiben möchte. In Jonis Reiseführer habe ich auch noch ein paar neue Fakten erfahren. In einem meiner ersten Beiträge habe ich ja schon über die Costanera geschrieben, beziehungsweise die Avenida José Asunción Flores. Aus dem Reiseführer konnte ich herausfinden, dass José Asunción Flores ein paraguayischer Komponist war, der in La Chacarita aufgewachsen ist. Vorher bin ich davon ausgegangen, dass die Straße wie viele andere nach einem ehemaligen General oder Politiker (oder beidem) benannt sei.

Es gibt also viele Gründe wieso ich Reiseführer liebe und wieso sie eine Ode verdient haben.

Um in Paraguay zum Ziel zu kommen, vor allem ohne Auto, reichen die Reiseführer als Informationsquellen oft nicht aus. Ich frage dann meine Gastfamilie oder schreibe direkt an die Attraktion. Das funktioniert in Paraguay meistens über Instagram und WhatsApp. Am Anfang klang das für mich zu informell und nicht vertrauenswürdig genug, klappt aber in meiner Erfahrung ziemlich gut.

Die letzte Woche habe ich im Home-Office gearbeitet und konnte mich ganz in Ruhe einleben, aber ab Montag gehe ich wie gewohnt ins Büro. Nach knapp vier Monaten sind meine Mitfreiwillige und endlich wieder gleichzeitig in Asunción, wodurch die Arbeit noch mehr Spaß macht. Der weitere Plan für die nächsten Wochen und Monate ist noch unklar.

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